Ortsbeschreibung

Ein Gang durch unseren Heimatort Leubnitz Neuostra

Lieber Freund! Du bist, gleichviel ob Du noch in der Heimat bist oder in der Ferne weilst, herzlich eingeladen, mit mir einen Gang durch unser liebes LeubnitzNeuostra zu machen, und so manches, was in unserer schnellebigen Zeit in Vergessenheit geraten ist, wird wieder zu neuem Leben erwachen.
Unsere heimatliche Flur ist seit mindestens 6000 Jahren besiedelt. Die meisten Funde stammen aus der Zeit 4000 V. d. Z. bis zur Slawenzeit, also bis etwa 1000 n. d. Z. In der Jungsteinzeit (4000 bis 2000) saßen die Bandtöpfer auf unserer Flur. Auf dem Gelände des Fuchsberges und die Friebelstraße abwärts bis zum Bache wurden Funde gemacht. Auch die Bronzezeit (2000 bis 800) weist auf denselben Stellen eine große Anzahl von Scherbenfunden und Hüttenbewurf auf. In der Gärtnerei Werner wurde eine besonders schöne Scherbe, mit Flammenwülsten verziert, gefunden. Das Volk, das hier siedelte, sollen die Illyrer gewesen sein. Aus der Eisenzeit (ab 800 v. d. Z.) stammen die ersten germanischen Funde. Beim Grundgraben auf der oberen Brunnenstraße fand man die Überreste einer germanischen Siedlung. Nach der Völkerwanderung (375 n. d. Z.) wurde unser Gebiet siedlungsarm, und etwa um 700 ließen sich, von Osten kommend, die Slawen hier nieder. Der slawische Weiler hat sicherlich am Anfang der Friebelstraße gestanden. Als die Eroberung unseres Gebietes durch die Deutschen erfolgte – 928 gründete Heinrich I. die Burg Meißen – wird die erste Anlage des Dorfes mit seinem Rittergut in der Gegend am Klosterhof erfolgt sein, während die späteren Ansiedler sich auf der Höhe niederließen. Beim Gang durch das ehemalige Dorf Leubnitz wird unser Auge zunächst durch die alte, trutzige Kirche, das Wahrzeichen von Leubnitz, gefesselt. Sie ist neben der Briesnitzer Kirche sicherlich eine der ältesten unserer Heimat. Das Gründungsjahr ist urkundlich nicht bekannt, man nimmt an, daß sie um 1150 gebaut worden ist. Sie ist eine Wehrkirche gewesen, die in unruhigen Zeiten der Bevölkerung Schutz gewährte. 1536 wurde der Kirchturm durch einen Blitzschlag teilweise zerstört. Es war ein Pfingstsonntag. Die Frau des Küsters Thomas Schmidt wollte ein heranziehendes Gewitter durch das Läuten der Scholastikaglocke vertreiben, als der Blitz herniederfuhr und die Vorderseite des Turmes teilweise aufriß. Die Küsterin, „das arme Mensch“, wurde vom Blitz getroffen und lag vier Wochen krank. Durch freiwillige Gaben der Gemeinde wurde der Turm erneuert. Diesen Vorfall hat der damalige Pfarrer, Antonius Hut, schriftlich festgehalten und das Schreiben in der Spille unter dem Turmknopf versteckt. 1666 wurde dieses Schriftstück aufgefunden und in einem neuen kupfernen Turmknopf wieder niedergelegt. Jetzt befindet es sich im Ratsarchiv. In diesem Schreiben macht der Pfarrer Hut seinem Herzen Luft über die zunehmende Ketzerei in deutschen Landen. „Ohne Furcht Gottes hätten die Leute an Fasttagen Fleisch gefressen, Pfaffen und Mönche hätten Weiber genommen, Mönche und Nonnen seien aus den Klöstern gelaufen.“ Neben der Kirche hat die „Schreiberei“ (Küsterei) gestanden. In der schönen Kirche befinden sich wertvolle Grabmäler, darunter auch das des Gartenarchitekten Karcher. Der Kirchberg hat 1813 eine gewisse Bedeutung erlangt. Als Napoleon den Ring, den die verbündeten Truppen um Dresden gelegt hatten, sprengen wollte, legte er großen Wert auf
die Eroberung von Leubnitz. Aber es ist nicht genommen worden, hat auch nicht in Flammen gestanden, wie es ein zeitgenössischer Maler im Bilde dargestellt hat. Auf dem Friedhofe ist besonders das Grabmal des Bauernastronomen J. G. Pahlitzsch, des „Sterngücklers“, beachtenswert. Eine besondere Stätte des Gedenkens ist auch das liebevoll gepflegte Grab von Dr. Fetscher, der 1945 noch in letzter Minute retten wollte, was von der in der grausigen Bombennacht zerstörten Stadt noch zu retten war, und bei diesem Versuch von Unmenschen erschossen wurde. Unterhalb der Kirche, an der Straße Altleubnitz, befindet sich der alte Pfarrhof, noch heute ein reizvolles Bild. In seinen Mauern hatte Friedrich II. im Siebenjährigen Kriege – 1760 – sein Hauptquartier. Aus dem Pfarrgarten führen zwei alte steinerne Brücken über den Heiligenbornbach, im Volksmunde als Teufels- und Engelsbrücke bezeichnet. Ein steinerner Plattenweg führt hinauf zur Kirche. An der Plänermauer des Pfarrhofes stehend, wenden wir den Blick nach links und sehen, wie die Zschertnitzer Straße in die Spitzwegstraße einmündet. Dieser Zschertnitzer Weg ist ein Stück der uralten Völkerstraße. Wir haben manche Beweise, daß es tatsächlich der Verkehrsweg aus dem Westen übers Gebirge nach Böhmen gewesen ist. Beim Grundgraben fand man auf der Zschertnitzer Straße eine römische Münze aus der Kaiserzeit, die gewiß ein römischer Händler in der Germanenzeit verloren hat. In der Nähe der Völkerstraße, an der Teplitzer Straße, wurde eine burgundische Streitaxt gefunden. An der Büttigstraße in Nickern wurden zwei Langobardengräber aufgedeckt, das Grab eines Kriegers und einer Frau. Wenn wir unsere Schritte auf der Dorfstraße wieder aufwärts lenken, so gelangen wir bald an den Klosterhof, das alte Herrenhaus des Rittergutes. 1233 wird „lubiniz“ das erstemal in der Schenkungsurkunde an das Frauenkloster zu Geringswalde urkundlich erwähnt. Die zweite Erwähnung von „Lubeniz“ findet sich in der Bestätigungsurkunde des Papstes Gregor IX. vom 29. Oktober 1237. Sogar der Papst hat sich vor 700 Jahren mit unserem stillen Dörfchen befassen müssen. Der Grundriß des Gebäudes mit den dicken Mauern und dem festen Gewölbe zeugt noch heute davon, daß das Herrenhaus, „das steinen Haus“, tatsächlich ein festes Haus, wahrscheinlich mit Wall und Graben umgeben, gewesen ist. Das Gut gelangte später in den Besitz des Markgrafen Heinrich des Erlauchten. In seinem Testament vermachte er „Lubanycz“ und „Goppil“ als Leibgedinge (Witwensitz) seiner dritten Frau. Die Witwe, Elisabeth von Maltitz, überwies aber dieses reiche Besitztum dem Kloster Altzelle als Seelgerät. Das Kloster übernimmt die Schenkung und sendet einen Mönch als Verwalter, auch Hofemeister genannt, nach Leubnitz. Der Klosterhof, wie das Gut nun genannt wird, ist aber niemals ein Kloster gewesen. Die landwirtschaftlichen Erzeugnisse wurden nun auf der alten Völkerstraße, jetzt Zellescher Weg genannt, nach dem Kloster Altzella gebracht. Die Gutsfluren erstreckten sich bis nach Gostritz und Strehlen und trugen teilweise den Namen „Hofefeld“. Als im Jahre 1539 die Reformation in Sachsen ihren Einzug hielt, fiel der Klosterhof an den Landesherrn Heinrich den Frommen. Dessen Nachfolger, Kurfürst Moritz, überließ das Gut 1550 dem Rate der Stadt Dresden. Der übernahm das Gut, löste aber sofort die Gutswirtschaft auf, entließ das Gesinde und verkaufte das Inventar. Die Äcker und Wiesen wurden stückweise an die Leubnitzer Bauern veräußert. 1569 jedoch mußten die erworbenen Flurstücke wieder abgegeben werden, weil der Kurfürst August I. (1547-1586) das Mustergut Ostra – gegenüber Pieschen – anlegte und elf dort ausgesiedelte Bauern in Leubnitz ansetzte, die die ehemaligen Flurstücke des Klosterhofes zugewiesen bekamen und nun den Ortsteil Neuostra bildeten. Nur das feste Haus blieb im Besitz des Rates, wie das Wappen über der Haustür noch heute andeutet. Er errichtete im Hause eine Schankstube, einen Liter Dresdner Bier konnte man für drei Pfennige erhalten. Diese Gaststube befand sich im ersten Stock, wohin man über eine an der Außenwand des Gebäudes angebrachte Treppe gelangte. 1829 wurde im Hause wieder eine Schankstätte errichtet, diesmal aber im Erdgeschoß „in der Gewölbe Tief und Nacht“, wie die Inschrift am Hause bekundet. Heute befindet sich eine Ausgabestelle der Städtischen Wäscherei darin. Nun geh mit mir Altleubnitz aufwärts, nach geraumer Zeit treffen wir im Hohlweg links an der Straße, halb versunken in der Böschung, auf das alte Steinkreuz. Im Volksmund ist viel über dieses Kreuz gefabelt worden. Erst der Lehrer E. K. Rühle hat den wahren Sachverhalt feststellen können. Im ältesten erhaltenen Gerichtsbuche des Amtes Leubnitz fand er die Niederschrift über eine Gerichtsverhandlung, die unter dem Vorsitz des damaligen Hofemeisters Michael Wassermeister und im Beisein des Leubnitzer Richters Hans Beil am Dienstag nach Lichtmeß 1525 im Herrenhaus des Klosterhofes abgehalten worden ist. Zwei Bauern aus Goppeln, Wenzel Hantzsch und Bernhard Wigand, die wahrscheinlich Steuern abgeliefert hatten, waren in der Schenke beim Bier zu Unfrieden gekommen. Auf dem Heimweg war der Streit zu Tätlichkeiten ausgeartet. Hantzsch hatte sein Messer gezogen und den Wigand im Hohlweg erstochen. Da nach mittelalterlichem Recht niemand wegen eines Totschlags zum Tode verurteilt werden konnte, sobald er nicht auf offener Tat ergriffen wurde, so konnte sich der Täter durch Zahlung des sogenannten Wer- oder Manngeldes von seiner schweren Schuld lösen. Hantzsch war geständig. Er wurde daher verurteilt, insgesamt 23 Schock 18 Groschen zu zahlen. Darüber hinaus verwilligt er, an der Stelle der Untat „ein steinen Kreuz“ ZU SetZen. Es ist also ein Mordoder Sühnekreuz.
An der Stelle, wo es steht, gingen in alten Zeiten die Menschen nur ungern vorüber, es „gespensterte“ dort. Neben dem Kreuz wollten ängstliche Gemüter in der Mitternachtsstunde den „feurigen Hund“ haben sitzen sehen, wollten wohl auch seinen giftigen Atem gespürt haben. Nur wer drei Kreuze schlug und den Namen Gottes anrief, konnte sich von dem Teufelsspuk befreien.
Nun, lieber Wanderer, geh mit mir weiter bis zum ehemaligen Pflastersteinwerk. Dort zieht sich die Flurgrenze quer über die Felder. Mitten auf der Grenze erhebt sich ein unscheinbarer Hügel, der Gamig, heute ein verlassener Granitsteinbruch. An ihm lassen sich interessante Aufschlüsse über die Entstehung der Erdoberfläche feststellen. Von Naturforschern wurde er oft besucht, fand man doch dort viele Ablagerungen von Meerestieren, wie Haifischzähne, Seeigel und dergl. Auch der Gamig ist von der Sage umrankt. In seinem Inneren sollen die Zwerge ihre unterirdische Werkstatt gehabt und in den Klüften nach Gold, Silber und Edelsteinen geschürft haben. Als aber mit dem Bau der Kirche der Glockenschall bis in ihre Höhlen drang, hätten sich die Zwerge auf die Wanderschaft begeben. In einer goldenen Kutsche sei der Zwergenkönig samt seinen reichen Schätzen davongefahren, gefolgt vom Volk der Zwerge. Von einem Fergen seien sie bei Nacht über die Elbe gesetzt worden und dann im Helfenberger Grunde
verschwunden.
Nun aber kehren wir wieder um und gehen an der neuen Schule vorüber in den Grund, wo der Heilige Born seit urdenklichen Zeiten sein Wasser spendet. Gewiß haben die Bandtöpfer in der Jungsteinzeit und die Illyrer in der Bronzezeit hier ihr Wasser geschöpft. Urkundlich wird der Quell 1555 erstmalig erwähnt, wo Kurfürst August einer Dresdner Gewerkschaft „einen mechtigen Brunnenquell im Leubnitzer Grunde, den heiligen Brunnen genent, zu vergonnen, zu verleihen und zu befestigen geruht hat“. Auch um den Heiligen Born hat sich, wie um so manche andere Stelle, ein dichtes Rankengewirr von Sagen gezogen. Sie haben alle ihre Ursache in der religiösen Einstellung vergangener Jahrhunderte. Im Volke sind sie entstanden und wurden von Mund zu Mund weitergetragen, deshalb wollen wir sie als altes Volksgut erhalten. Laß Dir einige davon berichten! Aus ihnen geht das Bestreben hervor, den Namen „Heiliger Born“ zu erklären. Die älteste scheint bis in die Völkerwanderungszeit zurückzugehen. Heidnische Nomadenhorden sollen im Grund gelagert haben, da habe sich der Himmel aufgetan, die heilige Maria und St. Johannes seien erschienen und hätten die Horden auf die Knie gezwungen, sie hätten sich alle bekehren und taufen lassen. Aus der Zeit des 30jährigen Krieges wird wahrscheinlich die Sage von der Quellnixe stammen, die im Brunnen wohnt und jeden, der das Wasser verunreinige, den bösen Geistern überliefere. Wer in der Johannisnacht aber vom Wasser schöpfe, dem verwandle die Nixe das Wasser in Wein. Rohe Krieger, die den Leuten das Wasserschöpfen verwehren wollten, seien allesamt von bösen Krankheiten befallen worden. In der Neujahrsnacht, um die Mitternachtsstunde, soll der Brunnen in magischem Lichte erglänzen, und harmonisches Glockengeläute soll aus dem Innern des Brunnenhauses ertönen. Der Brunnen habe auch nie eine Bedachung gelitten; sooft man es auch versucht habe, ihn zu überdecken, sei er sprudelartig aufgeschäumt und habe die Bedachung mit fortgerissen.
Über die Geschichte des Brunnens wissen wir, daß die Gewerkschaft in Dresden, der er zur Benutzung überlassen war, eine 9600 Ellen lange Röhrfahrt in die Stadt, endend im Schloßhofe, anlegen ließ. August der Starke benutzte das Wasser des Brunnens zu Kurzwecken. Als er sich in Warschau befand, gingen jede Woche Kurierwagen nach der polnischen Hauptstadt. In großen metallenen Laasen, mit dem kurfürstlichen Wappen geziert, wurde das Wasser befördert. Der Brunnen war früher mit einer viereckigen Mauer umgeben und ohne Bedachung. 1835 wurde er umgebaut in die Form, die er heute noch hat. 1921 wurde Leubnitz-Neuostra unserer Heimatstadt Dresden einverleibt. Obwohl noch lange Zeit das „Amt Leubnitz“, das mindestens schon im 16. Jahrhundert bestand, in der Verwaltung der Stadt geführt wurde, ist nun die Geschichte unseres Heimatortes eng mit Dresden verknüpft. Als der Feuersturm im Februar 1945 über Dresden hinwegraste, wurden zwar die Friebel- und Ostrastraße schwer betroffen, aber Altleubnitz blieb verschont, so daß das alte harmonische Dorfbild unversehrt erhalten ist.
Nun gehab Dich wohl !
Dein Wandergesell Max Löffler